Paradiesisches Lauferlebnis zwischen Kakao und Kokosnüssen. Als eine der neuesten Destinationen für Etappenläufe hat der deutsche Veranstalter GlobalLimits auf der kleinen afrikanischen Insel São Tomé „The Hemisphere Crossing“ ins Leben gerufen. Der Name ist Programm. Während sechs Etappen über total 200 Kilometer gilt es, den Äquator zu überqueren. Es ist der erste Event dieser Grössenordnung für die paradiesische Inselgruppe vor der Westküste Afrikas, die nach einem halben Jahrtausend portugiesischer Kolonialisierung immer noch ihren Platz in der Welt sucht. 58 Starter machen sich bei der Erstausgabe auf die Reise in ein unbekanntes Land und werden angenehm überrascht. Nicht nur das lockere Lebensgefühl und die vielen strahlenden Gesichter begeistern, auch die Trails lassen während der Wettkampfwoche keine Wünsche offen.
Eines der letzten Paradiese. Wo aber genau liegt dieses Sao Tomé? Es ist Freitagnachmittag. Auf dem Markt in der 70‘000 Einwohner zählenden gleichnamigen Hauptstadt bieten bunt gekleidete Frauen Früchte und Gemüse zum Verkauf an. Die Strasse ist aufgerissen. Es wird an einer neuen Kanalisation gearbeitet. Die allmählich verrottenden kolonialen portugiesischen Bauten vergangener Jahre erinnern an blühende Zeiten. In den kleinen Läden der benachbarten Gassen werden Dinge des täglichen Bedarfs angeboten. Viel wird sich hier von Woche zu Woche nicht ändern. Touristenartikel und Souvenirs sucht man vergebens. Noch ist das zweitkleinste Land Afrikas ein Geheimtipp. Gerade einmal zwei Flüge pro Woche verbinden die Inseln mit Europa.
Ein etwas anderes Bild bietet sich in einem der wenigen grösseren Hotels der Stadt. Eine ebenfalls bunt zusammengewürfelte Läufertruppe bereitet sich auf die erste Austragung eines Ultralauf Abenteuers auf São Tomé vor. Die obligatorischen Abläufe mit der Ausrüstungskontrolle, medizinischem Check und Briefing zu Strecke und Ablauf des Events gehen ähnlich gelassen über die Bühne wie das Empfangsdinner. Lokale Politprominenz erweist uns die Ehre. Der Sportminister und die Tourismusministerin des Landes sind zugegen. Die Teilnehmer aus 26, quer über den Globus verstreuten Staaten sollen mit guten Eindrücken aus dem (noch) touristischem Geheimtipp versorgt werden. Dafür sind die hochoffiziellen Ansprachen aber gar nicht notwendig. Bereits die ersten Eindrücke des Events überzeugen.
Grün soweit das Auge reicht. Stefan Betzelt vom Veranstalter GlobalLimts hat grün versprochen. Er ist nicht etwa ein Öko der 80er. Nein grün, soweit das Auge reicht. Eine ganze Woche lang. Und er sollte Recht haben. Die regengeschwängerten Wälder im tropischen Klima schwitzen bei 95% Luftfeuchtigkeit. Nicht minder die Läufer. Wenn man sich das Paradies vorstellt, dann so. Gelaufen wird auf Single Trails quer durch den zugewucherten Wald, durch mannshohes Buschwerk, auf einsamen Betonpisten, durch Koksnussplantagen, Kaffee- und Kakaohaine. Letzterer ist der Exportschlager von São Tomé. Während der Kaffee gerade mal für den Inselbedarf reicht, zählt der Kakao zu den besten der Welt. Und davon können sich die Teilnehmer vor Ort überzeugen. Direkt aus der frischen Kakaofrucht zuerst das süsse Fruchtfleisch geniessen und anschliessend die kleinen dunklen bitteren Stücke zerkauen, gibt extra Power für die Tagesetappen zwischen 16 und 59 Kilometern. Wer diese Kakaofrucht einmal so erleben kann, geht nicht zurück zu Milchschokolade. Aufgrund seiner Wirkung wird roher Kakao auch oft als Droge bezeichnet. Der Inhaltsstoff Theobromin wirkt ähnlich aufputschend wie Kaffee. Und die Aminosäure Tryptophan trägt ihr übriges für eine Steigerung der Stimmung bei. Im Körper zum Glückshormon Serotonin umgewandelt, ähnelt die Einnahme derer von Rauschmitteln. Die typischen Nebenwirkungen wie Niedergeschlagenheit oder Entzugserscheinungen bleiben allerdings aus.
São Tomé hat seine beiden besten Läufer in den Wettkampf geschickt. Ismael Tavarez und Júlio Perreira können nur von Xavi Marina aus Spanien herausgefordert werden. Die drei machen die Platzierungen unter sich aus. Erstaunlich dabei ist, dass der spätere Sieger Tavarez an den offiziellen Verpflegungspunkten kaum Wasser vom Veranstalter zu sich genommen hat. Von so viel Anpassung an die klimatischen und lokalen Verhältnisse sind wir mitteleuropäischen Läufer weit entfernt. Im Februar aus dem Winter gerissen, kämpfen wir mit der extremen Schwüle. Die Ausstiegsquote ist entsprechend hoch. Mit zunehmenden Rennverlauf verlassen wir das fruchtbare Hochland und erreichen die tropisch heisse Küstenregion.
Wir sind auf dem Weg Richtung Süden. Bei einer Nord-Süd Ausdehnung von gerade mal 55km und einer Breite von 25km ist es gar nicht so einfach, einen Lauf mit 200km Länge über die Insel zu führen. Aber zum Glück gibt es unzählige Dschungel Trails, die uns immer wieder von der Hauptstrasse in die Natur leiten. Die Temperaturen sind nun schier unerträglich. Zum Glück warten an den Etappenzielen erfrischende Kokosnüsse mit leckerem Saft. Ein weiterer natürlicher Stimulator. Das Leben kann so simpel sein. Wer braucht da schon Recovery Shakes?
Verlassene Käffer und Naturschauspiele. Überhaupt sind die Tagesziele das Highlight der Laufwoche. Im Norden campieren wir die ersten Nächte in kleinen Dörfern, die zu ihren Blütezeiten vom 17. bis zum 20. Jahrhundert lebendige und wirtschaftlich erfolgreich geführte Landwirtschaftsgüter waren. Koloniale Bauten der Gutsherren erinnern an diese Zeit. Zu einer der schönsten und grössten Anlagen auf São Tomé zählt die Roça Augustino Neto. Auf der ehemaligen Kaffeeplantage zeugt eine Ruine eines überdimensionierten Krankenhausbaus von besseren Tagen. Eher an ein Schloss mit triumphalem Aufgang erinnernd, war das Sanatorium bis vor ein paar Jahren noch das zweitwichtigste im Lande. Mittlerweile dient es nur noch ein paar Ziegen als Schutz. Eine weitere spezielle Unterkunft erwartete uns in Roca Monte Cafe. In einem Kindergarten verbringen wir die Nacht in Moskitonetzen zwischen Wandtafeln und aufgestapelten Tischen und Stühlen. Am nächsten Morgen muss der Start dann pünktlich um 7 Uhr erfolgen, da um 8 Uhr der normale Unterricht beginnt. Die ersten Schützlinge mit Schultasche stehen bereits früh morgens am eisernen Eingangstor. Und dann ist da noch die Roca Bombain. Inmitten des Urwalds wartet ein ehemaliges Herrscherhaus auf einen neuen Besitzer. Bis vor einem Jahr noch als Hotel genutzt, steht es jetzt verlassen leer. Stephen King könnte sich keine bessere Location für seine Horrorfilme wünschen.
Diese tristen Kulissen werden dann immer wieder von atemberaubenden Ausblicken unterbrochen. Die erloschenen Vulkane der Insel heben sich bis auf über 2‘000 Meter aus dem Meer empor. Besonders beeindruckend ist der Pico Cão Grande. Als Kontrast zu den tiefer liegenden Kokosplantagen ragt der nadelförmige Vulkanhärtling aus der Landschaft empor. In seiner Form an das männliche Genital erinnernd, dominiert er während drei Etappen die Landschaft. Überhaupt ist die Wettkampfstrecke sehr kurzweilig. Auch die kurzen Strandpassagen haben ihren Reiz. Das Betreten der Strände ist besonders nachts nur unter strengen Auflagen möglich. Fünf Arten von Meeresschildkröten vergraben hier ihre Eier im feinen Sand.
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Auf der Suche nach einer neuen Identität. Nach dem Niedergang des portugiesischen Weltreichs und der Unabhängigkeit 1975 herrschte in São Tomé mehr als ein Jahrzehnt eine kommunistische Regierung. Die engen Verbindungen zur Sowjetunion oder auch zur DDR sind bis heute sichtbar. In Porto Alegre steht an der Strasse das Wrack eines rostigen Ostblock Panzers. Turm, Kanonenrohr und Drehkranz konnten anderweitig verwendet werden. Das Fahrgestell wird von allerlei Pflanzen und Blumen überwuchert. Irgendwie symptomatisch für die vergangenen Jahrzehnte. Eine Eroberung steht dem Inselstaat wohl in naher Zukunft nur von Touristen bevor.
Und dazu zählt unser Trüppchen Läufer ja auch. Das gemeinsame Erlebnis stand trotz Kampf um Platzierungen im Vordergrund. Angekommen an einer der spektakulärsten Ziellinien bei Wettkämpfen rund um den Globus überwiegen Freude und Stolz auf das Erreichte. Auf der Ilhéu das Rolas, einer kleinen vorgelagerten Insel von São Tomé befindet sich das Ziel unserer Träume: der Äquator. Und nicht nur das. Exakt hier kreuzen sich Äquator und Nullmeridian. Ausgelassen springen einige Läufer zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre und von Ost nach West über den Nullpunkt auf der im Boden eingelassen Weltkarte hin und her. Ein wenig Wehmut schwingt nach der eindrucksvollen Woche bei jedem Einzelnen aber auch mit. Auf diese unvergessliche Art und Weise werden wir die Inseln wohl so schnell nicht wieder erleben. Es sei denn, man ist bei einer der nächsten Austragungen von „The Hemisphere Crossing“ dabei.
Die Ausgabe 2022 startet genau heute, am 18. Februar mit dem Welcome Dinner. Wer im nächsten Jahr dabei sein möchte, kann sich hier bereits anmelden.
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