Mit dem Konzept «Morgenlaufrunde in…» präsentieren wir Städte und Gegenden, die früh morgens bereit sind für einen lockeren Lauf. Da kann man die Frage stellen: Das sind doch alle Orte? Ja, aber nicht überall kann man zusätzlich zum Laufen auch Interessantes über Geschichte, Kultur, Land und Leute aufsaugen. Im Vorbeirennen sozusagen. Die Distanzen für die Vorfrühstücksrunde bewegen sich zwischen 10 und 15 Kilometern. Tempo und ein Fokus auf die Laufuhr sind dabei nicht gefragt. Eine Kamera und ein wacher (oder langsam aufwachender) Geist dann schon eher.
Morgenlaufrunde in… Rom
In Rom kann man bei einem Lauf nicht viel falsch machen. Glorreiche Namen an Strassen und Bauten, ausgegrabene Steine und antike Bauwerke oder Bruchteile davon weisen auf Schritt und Tritt auf die geschichtsträchtige Vergangenheit der Stadt hin. Es gibt wohl kaum solch eine Anhäufung an historischen Plätzen und Funden, wie auf dem Stadtgebiet der italienischen Hauptstadt. Eine entsprechende Anzahl Touristen aus der gesamten Welt besuchen die Metropole während aller Jahreszeiten. Mit über zehn Millionen Besuchern (Stand vor Covid) ist Rom die drittmeist besuchte Stadt Europas. Und da greift dann auch der Ansatz einer Morgenlaufrunde bestens. Bevor die Sehenswürdigkeiten und Denkmäler von Besuchern überflutet werden, lohnt es, die Strassen und Plätze zu erkunden. Lasst uns die Gassen unsicher machen, während die breite Masse allerhöchstens den Gang zum Frühstücksbuffet in Angriff nimmt.
Start Petersplatz. Egal, was man vom Treiben in den heiligen Hallen hält, die Baulichkeiten und die Dimensionen des Petersdomes übermannen. Früh morgens gegen 7 Uhr ist der Platz noch menschenleer. Die ersten Touristen reihen sich bereits in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle ein. Wir lassen die Ausmasse des Areals nur kurz auf uns wirken. Körper und Geist sind noch nicht ganz erwacht. Es wird Zeit für etwas Bewegung. Rauch in welcher Farbe auch immer ist heute keiner aus der Esse der Sixtinischen Kapelle zu erwarten. Hufe scharrend hält uns nichts mehr auf. Forza! Ama et fac quod vis!
Bereits auf den ersten Metern wird klar: Das wird kein normaler Morgenlauf. Die Augen werden von Eindrücken erschlagen. Auf der breiten Via della Conciliazione werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf den im Morgenlicht ruhenden Petersdom. Aber auch rechts und links stehen die Gebäude aufgereiht wie eine Filmkulisse. Wenn man einen Blick in die querenden Gassen wirft, stellt man fest, dass alles echt ist. Die Sonne erklimmt soeben die Dächer der vor uns liegenden Bauwerke. Von der Ponte Vittorio Emanuele II aus taucht ein herrlicher Sonnenaufgang das dominante Castel Sant’Angelo in warme Farbtöne. Gegenüberliegend die reich dekorierte Aeliusbrücke. Auch sie fesselnd den Blick. Noch keinen Kilometer in den Beinen steht aber jetzt bereits fest: wir sind in einem Museum. In einer allzeit Ausstellung.
Es darf auch gerannt werden. Nicht vergessen, es soll ein Lauf werden… Flotten Schrittes geht es entlang der Corso Vittorio Emanuele II auf dem Weg zur Piazza Venezia. Immer wieder mal lohnt es in die Gassen rechts und links abzubiegen. Überraschungen warten fast überall. Kleine Plätze mit reich verzierten Brunnen, Bauwerken, Kirchen und aus dem Boden aufragenden Säulen in den Ausgrabungsstätten. Die Zeitreise lässt sich hier förmlich spüren. Die Römer sind echt nicht zu beneiden, bei dem ganzen Bauschutt in ihrer Stadt. Tausende Jahre hat niemand aufgeräumt. Lassen sich daraus Parallelen zu Abfallskandalen in anderen italienischen Grossstädten ziehen? Ein Schelm, der so denkt.
Ein wuchtiger Komplex projiziert sich vor unserer Linse. Das Monumento a Vittorio Emanuele II, das Nationaldenkmal zu Ehren des ersten Königs des Königreiches Italien. Es ist mit seiner Fertigstellung im Jahr 1929 noch im Kindesalter verglichen zur umliegenden Architektur. Und bildet einen Kontrast zu den tausend Jahre alten Steinen in der Nachbarschaft. Wir sind im ältesten Teil Roms angekommen. Am Südende des Kapitolhügels. Auf und um diesen herum wimmelt es nur so von Stelen, Säulen und Zeitzeugen des römischen Reiches.
Vom Kaiser und einem neuzeitlichen Striptease. Über einen kurzen Anstieg auf den Hügel hinter dem Monument gelangen wir zum Senatorenpalast, dem Rathaus der Römer. Fast schon unbeachtet bleibt eine Statue von Mark Aurel, dem ehemaligen römischen Kaiser und Philosophen, vor dem Rathaus. Die Originalstatue wurde mittlerweile im Kapitolinischen Museum aufgestellt. Hier auf dem Platz befindet sich nur eine Kopie. Wie übrigens auch in der österreichischen Stadt Tulln. Also doch nur alles Filmkulisse?
Marcus Aurelius, wie sein ursprünglicher Name lautete, hat Akzente in Puncto Gesetzgebung und Rechtsprechung für Benachteiligte hinterlassen, unter anderem für die Frauen der damaligen Zeit. Da erscheint es doch fast logisch, dass auch heute noch Vertreter des weiblichen Geschlechts seine Nähe suchen. So protestierten am Tag vor unserer Laufrunde Stewardessen der staatlichen Fluggesellschaft Alitalia auf dem Platz vor dem Senatorenpalast. Und entledigten sich ihrer Uniformen zum Protest gegen den nicht merh abzuwendenden Konkurs der traditionsreichen Airline. Irgendwie symbolische für die wechselhafte, variable Geschichte auf dem ehemaligen Herrschaftsgebiet des Imperium Romanum.
Und da sind wir nun wahrhaft angekommen. Wenn das Kopfsteinpflaster unter den Laufschuhen nur reden könnte. Wir würden von Begebenheiten erschlagen. Rechts und links der Via dei Fori Imperiali kann man sich der Geschichte nun gar nicht mehr entziehen. Es läuft von selbst. Die Schritte hier fühlen sich leicht an, trotz der Schwere des uralten Baumaterials um uns herum. Die Eindrücke lassen Raum und Zeit verschwimmen.
Eine Wettkampfarena besonderer Bedeutung. Von weitem, in der aufgehenden Sonne bereits erkennbar, taucht das Colosseum auf, DAS Wahrzeichen Roms. Zeit für einen Fotostopp. Auf der Runde um die antike Arena herum lässt nur in etwa erahnen, wie es hier bei grossen Anlässen zu und her ging. Mittlerweile sind wir, trotz synthetischer Funktionskleidung und modernen Gadgets wie Handy und Laufuhr, im römischen Reich angekommen. Vier Kilometer sind es bis hierhin vom Ausgangspunkt. Unser Zeitempfinden hat dabei 2000 Jahre in umgekehrter Reihenfolge zurückgelegt. Nur früh am Morgen erlebt man hier den Genuss des Alleinseins. Schon bald wird die Gegend von Touristenmassen geflutet. Einzig ein paar weitere Frühaufsteher sind schon mit der Kamera unterwegs. Jeder erhascht jetzt noch sein individuelles Bild, allein mit der alten Wettkampfarena. Hier haben sich schon Dramen abgespielt. Und wurden Siege gefeiert.
Was macht so eine Morgenrunde aus? Jeder ist sein individueller Chronotyp. Ein Nachtmensch wird morgens eher schlurfend die Beine über das Kopfsteinpflaster ziehen. Tagaktive Frühaufsteher hingegen tippeln leichten Schrittes. Ich lasse mich treiben. Gedanken schweifen durch das Nichts. Die Einflüsse der einmaligen Umgebung bilden im Unterbewusstsein weiter. Das Interessante bei solch einer Morgenrunde kommt erst nach dem Lauf. Beim Nachvollziehen und Durchleben in Erinnerungen. Auf dem Stadtplan und im World Wide Web lässt sich die Tour in allen Details zu den besuchten Stätten noch einmal erleben. Und bildet gleichzeitig.
Ein Marathon geht immer
Sieben Monate, sieben Kontinente, ein Traum. Das Buch nimmt dich mit auf eine unterhaltsame Laufreise um die Welt. Interessante Einblicke in abenteuerliche Wettkämpfe in den abgelegensten Gegenden unseres Planeten, ebenso wie in Psyche und Körper jenseits der Komfortzone.La Dolce Vita erwacht. Wir sind aber noch nicht fertig! Durch ein Geschlängel von Strassen und Gassen geht es avanti Richtung Trevi Brunnen. Wo 1960 im Film «La Dolce Vita» Anita Ekberg mit Marcello Mastroianni ein nächtliches Bad genoss, kann man auch hier im Morgenlicht noch ein Abbild ohne Menschenbelagerung bekommen. Jedoch auch schon früh am Tag häufen sich die Schaulustigen. Und das wird mit zunehmendem Sonnenstand nicht besser. Der Trevi Brunnen und das gleichnamige Quartier um die Fontäne zählen zu den Top Attraktionen Roms. Und da wird, wie überall an den historischen Stätten, streng darauf geachtet, dass diese auch in ihrem Zustand bleiben. Ordnungshüter weisen am Brunnen die Besucher darauf hin, den Rand nicht zu betreten. Also mit einem Bad wird das nix. Weiter geht’s.
Das alte Kopfsteinpflaster in den engen Gassen, wie der Via deile Muratte ist noch feucht und rutschig. Gastronomen bereiten in Erwartung des täglich wiederkehrenden Ansturms die Tische für das Tagesgeschäft vor. Jetzt ist es noch möglich, in lockeren Schritten die Pflastersteine, markiert mit Rotweinflecken des vorhergehenden Abends, mit leichtem Vorfussabdruck abzutänzeln.
Der Lauf scheint unendlich und doch kurzweilig. Wir kommen nicht weit. Die Konzentration der Geschichte will kein Ende nehmen. Noch einmal begegnen wir Marc Aurelio, auch dieser Name ist für den ehemaligen Kaiser geläufig. Also nicht ihm höchstpersönlich, sondern der 30 Meter hohen Siegessäule, die zu seinen Ehren errichtet wurde. Oder ist es nur die Kopie? Wer weiss das schon. Macht sich da etwa Verdruss breit? Nein, keineswegs. Es ist einfach fast zu viel, das alles aufzusaugen.
Aus einem schmalen Strässchen wird der Blick auf ein erhabenes Bauwerk gelenkt. Eingezwängt zwischen neuzeitlichen Bauten steht das Pantheon. Auf den ersten Blick wirkt es wie das grösste Elefantenklo unseres Planeten. Tatsächlich aber war und ist es eines der bedeutendsten Bauwerke der Antike. Kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung erstellt, ist es bis heute noch bestens erhalten. Lange Zeit, bis ins 19. Jahrhundert hinein, galt der Bau an der Piazza della Rotondo, am Innendurchmesser orientierend, als grösste Kuppel der Welt.
Stadionumbauten gibt es schon seit jeher. Nur ein paar Torbögen und Gassen weiter öffnet sich die Enge der Bebauung. Wir stehen auf der Piazza Navona. Die Sonne erreicht jetzt schon die unteren Stockwerke der umgebauten Stadiontribünen. Es lässt sich heute nicht mehr vermuten, aber auf dem Standort des heutigen Platzes wurde 46 v. Chr. von Julius Caesar eine erste Wettkampfarena für Spiele griechischen Vorbilds erbaut. Dieses Stadion wurde später ausgebaut und konnte bis zu 30’000 Besucher fassen. Im Mittelalter wurden nach und nach Häuser in die Tribünen eingebaut. Vom Stadion ist heute nichts mehr zu erkennen. Die Kulisse lässt sich nur erahnen. Der heroische Charakter dieses geschichtsträchtigen Ortes ist aber auch heute noch spürbar.
Über die Ponte Umberto I geht es wieder auf die nördliche Seite des Tiber. Unter uns, am Fluss entlang, auf dem klassischen Joggingpfad, spulen Laufbegeisterte ihre Kilometer ab. Fast ein wenig schade, nur des Laufens willen hier unten, ohne Blick für all die facettenreichen Bauwerke, die Kunst und Architektur seinen Lauf zu absolvieren. Natürlich ist es für die Einwohner der Metropole weniger interessant, die für sie normalen Bauten abzulaufen. Für uns ist es eine Zeitreise in die Vergangenheit. Fast überall im Zentrum Roms sind Plätze, Mauern und Brücken mit dekorativen, künstlerisch gestalteten Elementen versehen. Im Vorbeirennen erscheinen diese im Augenwinkel. Der Fokus wird immer wieder auf mächtige Konstruktionen aus mehreren tausend Jahren Geschichte gelenkt.
Alles hat ein Ende. Zum Abschluss umrunden wir den Parco della Mole Adriana. Entlang der Leonitischen Mauer geht es im Zielsprint Richtung Petersplatz. Die Mauer verbindet den Petersdom mit dem Castel Sant’Angelo. Gedacht als Fluchtweg für die Päpste bei einer Belagerung des heiligen Doms. Das Castel, auch Engelsburg genannt, ist aufgrund seiner Bauart nur schwer einnehmbar. Tatsächlich diente dieser Tunnel Papst Clemens VII. bei der Plünderung Roms und Papst Pius VII. vor Napoleon zur Flucht aus dem Vatikan.
Für heute heisst es, die Laufuhr zu stoppen und sich dem Kaffeeduft der an der Vatikanmauer für die Touristen bereiten Cafés zu ergeben. Die vergangene Stunde mit entspannten zehn Kilometern verging wie im Fluge. Die Eindrücke bleiben noch lange präsent. Und das Beste an solch einer frühzeitlichen Sightseeing Runde: die wichtigsten Eckpunkte, wie Stationen des öffentlichen Verkehrs, Eintrittszeiten und -gelder und Gehdistanzen zwischen den Sehenswürdigkeiten sind bereits erkundet. Der Tag mit der Familie ist somit bestens vorbereitet. Und du kannst dich beim ersten Besuch bereits als Rom Experte outen 😉 .
Viel Spass beim Nachlaufen!
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Mehr Informationen zu Rom gibt es auf der Seite des Turismo Roma, dem Torurismusportal der Stadt.
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